Ästhetik und Regeneration: der Bogen
Beim Bogen handelt es sich um eine klassische und bekannte Yoga-Übung. Sie erfordert einen kraftvollen Einsatz und ist für manche Menschen vielleicht zunächst nicht ohne weiteres ausführbar. Dennoch ist es günstig, die Übung zu wagen.
Diese āsana kann über eine einfachere Herangehensweise nach einiger Zeit der Übung immer weiter ausgestaltet werden.
Im Bogen vereinen sich sowohl ein ästhetischer Ausdruck als auch ein hohes Maß an Regenerationskraft und Regenerationsfähigkeit.
Aufgrund der heutigen Lebensweise ist es in vielen Fällen beispielsweise so, dass die Wirbelsäule besonders im Bereich der Brustwirbelsäule zu Verhärtungen in der Muskulatur oder gar Versteifungen zwischen den Wirbelkörpern neigt – das natürlich freie Bewegungsspiel der Wirbelsäule ist dadurch eingeschränkt oder kaum noch möglich. Ein wesentlicher regenerativer Ansatz wäre nun, diesen Wirbelsäulenbereich wieder neu zu beleben und in eine eigene Aktivität zu führen. Dies kann sich positiv auf das Aufrichtevermögen der gesamten Wirbelsäule sowie mancherlei Begleiterkrankungen auswirken, die bis in den seelischen Bereich hinein reichen.
Eine besondere Form der Regeneration entsteht, wenn nicht unmittelbar am Körper angesetzt, sondern eher angestrebt wird, den Körper in seiner eigenen Regenerationsfähigkeit zu unterstützen. Indem man ihn weitestgehend autonom agieren lässt und ihm den dazu nötigen Raum und die dazu nötige Weite gewährt, unterstützt man das eigene Regenerationspotential des Körpers. Damit dies gelingt, bedarf es einer gewissen Konzentration, die es zu schulen gilt. Lenkt man die Aufmerksamkeit zusammen mit einem bestimmten Gedanken oder einer bestimmten Vorstellung gezielt auf einen Bereich oder eine Sache, so kann der Körper in allen anderen Bereichen regenerieren.
Wer dies einmal ausprobiert hat weiß, dass es einen guten Willen erfordert, wirklich bei einer Sache zu bleiben und eine Vorstellung weiter aufzubauen. Nur all zu leicht, schweifen die Gedanken wieder ab. Nach und nach übt man sich darin, die Gedankentätigkeit und die erforderliche Willenskraft in ein günstiges, rhythmisches Zusammenspiel zu bringen. Durch dieses Aufgliedern und Ordnen erbaut sich die Konzentration.
Diese Gliederung und Ordnung zeigt sich dann auch in der Übungsausführung und die Übung gestaltet sich hierdurch ästhetischer und lichter. Der ästhetische Wert kann so weit geführt werden, dass der zuvor konzentrierte Gedanke im körperlichen Ausdruck sichtbar wird.
Im Folgenden sehen Sie zwei Beispiele für ein Herangehen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden.
Wesentlich für die Ausführung des Bogens ist zunächst eine zielgerichtete Aktivität.
Hierbei werden die Beine in der Übung mit einem kraftvollen Einsatz nach oben gestemmt.
Zu beachten ist jedoch, dass sich der Bogen nicht allein aus einem willentlichen Kraftansatz motiviert, sondern seinen ästhetischen Wert vielmehr durch die Fähigkeit zu einer feineren Empfindungsfähigkeit sowie einer gedanklichen Übersicht erhält.
Das Individuum schult auf diese Weise seine Fähigkeit zur Konzentration.
Zur Erlangung einer soliden Konzentrationsfähigkeit wird zu allem Beginn ein Zielobjekt benötigt, auf welches man sich ausrichten kann. Beim Bogen wäre dies eine Region im Bereich der Brustwirbelsäule.
Wie bereits in anderen Übungen beschrieben, ist auch in dieser Übung eine Gliederung sowohl zur gedanklichen Ordnung als auch zur Ausrichtung auf das gewählte Ziel angezeigt.
Erste Ausführung: (für Anfänger gut geeignet)
Für eine erste einfache Ausführung legen Sie sich bäuchlings und klappen Sie die Unterschenkel angewinkelt nach oben. Greifen Sie mit den Händen die Fußgelenke. Bereits in dieser Ausgangsposition achten Sie darauf, die Schultern entspannt zu halten.
Halten Sie in der Ausgangsposition kurz inne und konzentrieren Sie sich auf die Mitte Ihres Rückens.
Im ersten Schritt erfolgt eine Wahrnehmung und Konzentration auf den mittleren Rücken
Motivieren Sie sich dann aus dem mittleren Rücken mit einem gezielten, spannkräftigen Ansatz in die Beine hinein und stemmen Sie diese so weit wie es Ihnen möglich ist nach oben hoch. Der Oberkörper sollte hierbei noch weitgehend auf der Unterlage sein.
Spannkräftiges und gezieltes Stemmen in die Beine aus dem mittleren Rücken
Halten Sie anfangs die Stellung für etwa 15-30 Sekunden auf gleichbleibendem Niveau und achten Sie darauf, dass Ihre Beine nicht nach unten sinken.
Der Oberkörper bleibt noch immer flach nach unten gerichtet. Wachsen Sie nun mit dem Oberkörper nach vorne -nicht nach oben- heraus, indem Sie wieder im mittleren Rücken ansetzen und von dort aus einen Impuls in Richtung Kopf geben. Auf diese Weise wird der Brustkorb angenehm weit.
Der Oberkörper bleibt zur Unterlage gerichtet, der Brustkorb weitet sich nach vorne heraus
Nun heben Sie auch den Kopf und stemmen, wenn möglich, noch einmal spannkräftig nach oben in Richtung Beine. Kommen Sie dann langsam und geführt aus der Stellung heraus.
Endstellung in höchstmöglicher Spannkraft
Für eine bereits fortgeschrittenere Übungsausführung gestalten sich die Schritte wie folgt:
Diese Ausführung eignet sich, sobald der Ausführende mit den einzelnen Schritten der Übung bereits vertraut ist und während der Durchführung in einer guten Übersicht und Konzentration bleiben kann ohne von körperlichen Schwereverhältnissen, die in dieser Übung zu Beginn gerne auftreten, zu sehr beansprucht zu werden.
Diese fortgeschrittenere Ausführung kommt noch etwas mehr durch die Vorstellung zustande als es vergleichsweise in der ersten Variante der Fall war. Das ist ungewohnt und erfordert eine andere Form der Annäherung und Ausdauer, als wenn dies nur auf der körperlichen Ebene geschieht.
Stellen Sie sich gedanklich zunächst Ihre gesamte Wirbelsäule, mit ihren 24 einzelnen Wirbeln sowie dem Kreuzbein und dem Steißbein vor. Die bewegliche Wirbelsäule des Menschen ist in drei Abschnitte gegliedert. Im unteren Bereich befindet sich die Lendenwirbelsäule mit fünf kräftigen Wirbelkörpern. Der obere Bereich bildet die Halswirbelsäule mit den sieben feinsten Wirbelkörpern der gesamten Wirbelsäule.
Der mittlere Bereich ist schließlich mit zwölf Wirbeln der größte und auch naturgemäß beweglichste und dynamischste Bereich, wenn man einmal von den Einschränkungen, die durch die heutige Lebensweise oft gegeben sind, absieht. Von hier können wir die wesentlichen Bewegungsrichtungen aus unserem Rücken heraus steuern. Bei der Übungsausführung des Bogens liegt der Fokus, also die Zielausrichtung, auf diesem mittleren Wirbelsäulenabschnitt.
(Text zur Zeichnung): Nimmt man die gesamte Brustwirbelsäule mit ihren einzelnen zwölf Wirbelkörpern in die Aufmerksamkeit, so konzentriert man sich innerhalb dieses Bereiches auf ein Zentrum welches sich etwa auf Höhe der Nieren und des Magens befindet. Im Yoga benennt man dieses Zentrum als das dritte feinstoffliche Zentrum, auch manipura-cakra oder Sonnengeflecht genannt.
Zur Ausführung:
Legen Sie sich bäuchlings und klappen Sie die Unterschenkel angewinkelt nach oben. Greifen Sie mit den Händen die Fußgelenke. Bereits in dieser Ausgangsposition achten Sie darauf, die Schultern entspannt zu halten. Lenken Sie Ihr Bewusstsein mit Ihren Sinnen auf den Sie umgebenden äußeren Luftraum und werden Sie sich seiner Weite bewusst. Es ist dem Luftelement zu eigen, dass es immer in die maximale Ausdehnung hinein findet und mit sämtlicher umgebender Materie eine Verbindung im peripheren Bereich eingeht.
Im ersten Schritt erfolgt die Konzentration auf den umgebenden Luftraum und der Wahrnehmung seiner Weite
Sie haben Ihre Aufmerksamkeit nun zunächst auf den umgebenden Luftraum gelenkt.
Nun gehen Sie einen Schritt weiter und werden sich zunächst wieder des mittleren Abschnittes Ihrer Wirbelsäule bewusst. Verdeutlichen Sie sich noch einmal gedanklich, dass ihre Wirbelsäule aus drei Abschnitten besteht: Der unteren Lendenwirbelsäule, der oberen Halswirbelsäule sowie der mittleren Brustwirbelsäule.
Ihre Aufmerksamkeit gilt nun der Brustwirbelsäule. Diese ist das Zielobjekt Ihrer Konzentration.
In diesem Bereich ist ein feinstoffliches Energiezentrum lokalisiert, welches auch als manipura-cakra oder Sonnengeflecht bezeichnet wird. Es steht im wesentlichen für den Ausdruck von Spannkraft und Weite sowie zielgerichteter Aktivität und wirkt auf harmonische Weise raumeröffnend.
Wenn Sie diesen Bereich in Ihrer Vorstellung aufbauen konnten, stellen Sie sich im weiteren Verlauf vor, dass Sie in der folgenden Bewegung aus einem genau lokalisierten Zentrum in diesem Wirbelsäulenabschnitt Ihren Krafteinsatz steuern. Dieses Zentrum liegt im unteren Bereich der Brustwirbelsäule, etwa auf der Höhe des Magens und der Nieren- darauf verwenden Sie nun alle Konzentration Ihres Willens.
Lokalisieren Sie konzentriert den Bereich des Sonnengeflechts in der unteren Brustwirbelsäule
Vollbringen Sie in einem weiteren Schritt die wagemutige Vorstellung, dass Ihre Bewegung sich aus der Weite des umgebenden Luftkreises auf den unteren Bereich der Brustwirbelsäule zentriert und sie nun von dort einen kraftvollen Impuls in die aufsteigenden Beine geben und dabei die umgebende Rückenmuskulatur anspannen.
Geben Sie einen ersten kraftvollen Impuls in die Beine hinein
Die Bewegung kommt aus der Weite und überträgt sich nach ihrer Zentrierung wiederrum in einen weiten Ausdruck in der Übung und in ihrer Empfindung. Die Dynamik setzt sich aus dem Zentrum zentrifugal in Richtung Kopf und Beine fort.
Merke:
– Aus der Weite im Außen kommend
– sich zur zielgerichteten Spannkraft zentrierend
– mit einer Empfindung von Weite sich wieder beziehungsfreudig nach außen richtend
Halten Sie die Übung nun ruhig und sinken Sie in der Dynamik nicht nach unten. Versuchen Sie vielmehr, die Dynamik gezielt nochmals weiter aus dem Sonnengeflecht in Richtung Beine nach oben zu motivieren. Ihr Oberkörper bleibt während dieser dynamischen Ausführung weitestgehend nach unten gerichtet. Weiten Sie den Brustkorb vielmehr in eine Bewegung nach vorne heraus.
Die Bewegung steigt zentrifugal in Richtung der Beine und des Kopfes
In der Endphase stemmen Sie die Beine nach Möglichkeit noch ein weiteres Stück nach oben heraus. Achten Sie während der Ausführungen darauf, nicht mit den Armen an den Beinen zu ziehen- die Arme schließen lediglich die Übung, bleiben jedoch möglichst passiv. Die Aktivität kommt aus dem mittleren Rücken.
Die aus dem Zentrum des Sonnengeflechtes motivierte zielgerichtete Aktivität führt sowohl in Richtung Beine als auch in Richtung Kopf in die Weite.
Die zielgerichtete Aktivität führt in einen Ausdruck der Weite
Dennoch ist es günstig, den Oberkörper eher bodennah zu halten und damit nicht zu weit aufzusteigen. Die Beine sollten im Bereich der Kniekehlen höher liegen als der Schultergürtel.
Je nach Möglichkeit, können die Beckenknochen den Boden verlassen und der Schwerpunkt wird soweit als möglich auf den Brustkorb verlagert.
Kommen Sie nach einer angemessenen Haltezeit, die sie gut fordern darf, wieder geführt aus der Haltung zurück und entspannen Sie einen Moment in der Bauchlage.
Eine Bewegungsfolge zur Veranschaulichung:
Aus der Weite in die Zentrierung und wieder in die Weite
So kann abschließend mit Blick auf die Ästhetik und den hohen regenerativen Wert der Übung noch angemerkt werden:
Der Gedanke, der aus der Weite über die willentliche Aktivität und das Vorstellungsvermögen heran gelangt und zur Zentrierung geführt wird drückt sich in der Folge über den Körper aus. Dieser Ausdruck von Ordnung und Weite gestaltet und formt den ästhetischen Wert der Übung.
Zur Regeneration bedarf es der gezielten Konzentration auf eine Sache. Der Körper kann sein ihm innewohnendes regeneratives Potential entfalten, wenn ihm der Raum dazu gestattet bleibt. Das Empfinden der Weite drückt sich nicht nur von Außen sichtbar und ästhetisch am Körper aus- die Weite reicht vielmehr bis in die kleinste Zelle des Körpers hinein und entfaltet ihren regenerativen Wert. Die im Bogen geforderte zielgerichtete Aktivität, bewirkt ein Grenzüberschreiten. Aus diesem Grenzüberschreiten kann sich eine angenehme Weite entwickeln, die auch in der Atmung spürbar wird. Ein tiefer und weiter Atem bewirkt, dass der Körper durchströmt wird und sich die Durchblutung intensiviert. Auf diese Weise werden die inneren Organe belebt und erfrischt und in ihrer Funktionsweise gestärkt. Dies entlastet die Organe gleichermaßen und kommt auch der Stoffwechsellage zugute. Auch das Herz- Kreislauf- System profitiert auf diese Weise und wird gestärkt. Durch die Stärkung und Erfrischung des gesamten Organismus wird auch die eingangs erwähnte verhärtete Rückenhaltemuskulatur weicher und die Wirbelsäule gewinnt an Spannkraft und somit an Aufrichtevermögen. Die erhöhte und aktivere Stoffwechseltätigkeit wirkt zudem auch begünstigend auf Versteifungen zwischen den Wirbelkörpern, da Ablagerungen abtransportiert und ausgeschieden werden können. Die angeregte Durchblutung versorgt auch wieder die einzelnen Zellen und auch das Gewebe gewinnt wieder an mehr Elastizität. Das somit gewonnene Maß an Spannkraft reicht bis in den psychischen Bereich hinein und wirkt möglichen Labilitäten stabilisierend entgegen. Die erhöhte Konzentrationsfähigkeit lässt die gedankliche Struktur klarer und geordneter erscheinen und ein Aufrichten der gesamten Persönlichkeit gliedert sich auf harmonischere Weise in das soziale Gefüge ein.